Die geplante Krankenhausreform – eine Revolution?

Abb. oben: regionalHeute.de

Ein anarchosyndikalistischer Kommentar für eine soziale Revolution – und für ein ganz anderes Gesundheitssystem

Vor kurzem war in den bürgerlichen Medien von der geplanten Krankenhausreform zu lesen, auf die sich Gesundheitsminister Lauterbach mit den Bundesländern durch eine Eckpunktebenennung geeinigt hat und welche dann über den Sommer so konkretisiert werden soll, dass sie zum 1.Januar 2024 in Kraft treten kann.

Auf tagesschau.de ist dazu zu lesen:
„Die Pläne sehen im Kern vor, das Vergütungssystem mit Pauschalen für Behandlungsfälle zu ändern. Das soll Krankenhäuser von wirtschaftlichem Druck und einem „Hamsterrad“ befreien, wie Lauterbach erläuterte – also von dem finanziellen Druck, immer mehr Fälle übernehmen zu müssen und teils auch Eingriffe vorzunehmen, für die keine große Expertise besteht.“
„Die Kliniken sollen stattdessen einen großen Anteil der Vergütung allein schon für das Vorhalten von Personal, Technik, Notaufnahmen und anderen Leistungsangeboten bekommen. Statt den bisher üblichen DRG-Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups) soll es also künftig Vorhaltebudgets geben“
„Lauterbach plant auch ein „Transparenzgesetz“, mit dem Daten zur Behandlungsqualität aller Kliniken als Information für Patientinnen und Patienten veröffentlicht werden sollen.“ – tagesschau.de

Lauterbach nannte sein Vorhaben eine „Revolution“.
Ver.di schrieb:
»Keine Klinik darf aus akuter wirtschaftlicher Not geschlossen werden, bevor die Reform überhaupt greifen kann«, so erklärte es Sylvia Bühler aus dem Bundesvorstand.

Auch auf tagesschau.de ist zu lesen:
„Bisher verdienen Krankenhäuser vor allem über die sogenannten Fallpauschalen Geld. Und das bedeutet: Je mehr Patienten sie möglichst schnell behandeln, desto besser für die Bilanz. Vom Arbeiten im Hamsterrad sprechen Mediziner deshalb oft. Künftig soll nur noch ein Teil der Einnahmen aus den Fallpauschalen kommen.“

Krankenhäuser, Pflegeheime und ambulante Pflegedienste sind im Kapitalismus immer profitorientiert, müssen immer in Konkurrenz zueinander arbeiten und bestehen, und haben kein Interesse, dass genug Pflegekräfte in ihnen arbeiten, weil dadurch die Profite reduziert würden.

Auch für Ärzt*innen, nicht nur in der Notfallmedizin, sind die Arbeitsbedingungen oft sehr stressig, allerdings bekommen Ärzt*innen ein sehr hohes Gehalt und können in der Arbeitshierarchie selbständiger und selbstbestimmter arbeiten als Pflegekräfte.

Als Anarchosyndikalist und kommunistischer Anarchist ist meine Sichtweise die Sichtweise und Perspektive des Pflegepersonals, ich selbst bin examinierter Altenpfleger, habe 11 Jahre durchgehend in der Pflege gearbeitet und glaube, einschätzen zu können, wie ausgeprägt der Pflegenotstand und die Probleme generell im Gesundheitssystem sind.

Ich habe als ein Teil des anarchistischen Medienprojekts reso.media einen Broschürentext geschrieben, in dem ich erörtere, warum ein Systemwechsel notwendig ist, der auch feministisch und antirassistisch gedacht und umgesetzt werden muss, und wie dieser herbeigeführt werden könnte – diese Boschüre ist HIER als PDF herunter zu laden, HIER zu bestellen, aber auch HIER auf anarchismus.de zu lesen.

Darin gehe ich ausführlich auf Probleme in der Pflege und im Gesundheitssystem ein und beschreibe darin, dass wir eine dezentrale, solidarische Gesundheitsversorgung brauchen, in die Stadtteile eingebettet, basisdemokratisch und gleichberechtigt selbstverwaltet durch alle dort Arbeitenden, durch die Patient*innen und ihre Angehörigen.

Gute Gesundheitsversorgung sollte allen Menschen gleichberechtig kostenlos angeboten und ermöglicht werden. Armut ist ein krankmachender Faktor, er sollte global schnellstmöglich überwunden werden. Selbst in Deutschland haben Reiche eine durchschnittlich zehn Jahre höhere Lebenserwartung, das ist wissenschaftlich belegt. Das Gesundheitssystem müsste generell vergesellschaftet und kollektiviert werden, außerdem müssten meiner Meinung nach die Patente für Medikamente und die Pharmaindustrie vergesellschaftet werden.

Armut kann aber nur grundlegend überwunden werden, wenn die kapitalistische Klassengesellschaft an sich überwunden wird. Das Problem im Krankenhaussystem ist also nicht auf die sogenannten Fallpauschalen zu reduzieren, das greift viel zu kurz. Das Problem heißt Kapitalismus. Und der prägt als globales Kapitalverhältnis alle gesellschaftlichen Bereiche, das Gesundheitssystem kann also davon nicht getrennt betrachtet und verändert werden.

Nicht benannt in dieser öffentlichen Debatte wird zudem, dass durch den Pflegenotstand nicht ausreichend gegen Hygienemängel und multiresistente Keime vorgegangen werden kann, das als Gesundheitsminister nicht zu erwähnen und mitzudenken, vor allem nach einer gefährlichen globalen Pandemie, ist nur als armselig zu bezeichnen.

Durch den Hygienemangel in Krankenhäusern und Pflegeheimen kann es zu schlimmen Gefährdungen für die kranken Patient*innen kommen. Benannt im bürgerlichen Diskurs wurde natürlich auch nicht, dass weiterhin Pflegekräfte kündigen werden, weil sie die schlimmen Arbeitsbedingungen nicht mehr ertragen.

Es wird kein richtiger Versuch unternommen werden, diese Arbeitsbedingungen auch in Krankenhäusern zu verbessern. Nicht ein Ansatz dazu ist in der herrschenden Politik zu erkennen. Dabei betrifft dieses nicht nur Pflegefachkräfte, die vielen Pflegehelfer*innen, die sehr harte Arbeit leisten müssen, werden überhaupt nicht erwähnt oder mitgedacht, sie haben überhaupt keine Lobby. Wir brauchen sofort sehr viel mehr Pflegepersonal, überall im Gesundheitssystem.

Es wird einmal mehr deutlich, dass von Politiker*innen nichts zu erwarten ist und diese durchgehend innerhalb des Systems denken und handeln. Und zwar egal, welche Partei in der Regierung ist.

Ein Schlüssel zur Lösung dieser Situation ist daher in meinem Augen die Selbstorganisierung von Lohnabhängigen in anarchosyndikalistische Basisgewerkschaften, aus der heraus kämpferische Streiks und Kämpfe organisiert werden können, zum Beispiel über die Schaffung von Betriebsgruppen.

Die FAU (Freie Arbeiter*innen Union) gibt es in Deutschland in 40 Städten.

Mein Wunsch wäre auch, dass in Krankenhäusern und Pflegeheimen Angestellte kämpferisch diese Orte kollektiv besetzen – nicht nur im Generalstreik – und entgegen der Leitungsgremien dieser Orte die Gesundheitsversorgung kostenlos umsetzen. Das wäre auch ein revolutionärer Impuls, der deutlich macht, dass es im Rahmen des herrschenden Systems nicht mehr weitergehen kann, dass sich alles grundlegend ändern muss.

Anfang November 2011 eröffnete die Soziale Krankenstation der Solidarität Thessaloníkis (SKS) in Griechenland. Das Projekt kümmerte sich zunächst um Hungerstreikende der grossen sozialen Protestbewegung, hatte aber bald das Ziel, die gesundheitliche Grundversorgung des wachsenden Teils der Bevölkerung Thessaloníkis zu ermöglichen, die auf Grund der kapitalistischen Kahlschlagpolitik keinen Zugang zu Krankenhäusern und Gesundheitszentren mehr hatten.

In einem sehr lesenswerten Interview von 2011 mit Serafía Kalamítsou, Kinderärztin, Anarchistin und von Beginn an im SKS aktiv, schreibt diese unter anderem:„Verschiedene Ärzt*innen, Krankenpfleger*innen und Psychotherapeut*innen – hauptsächlich Anarchist*innen, Antiautoritäre und Linke – gründeten daraufhin eine solidarische Krankenstation im Arbeiterzentrum um die Hungerstreikenden ärztlich zu begleiten“
Desweiteren
„Allerdings beschlossen wir schnell, alle Menschen ohne Krankenversicherung mit einzubeziehen, also MigrantInnen und GriechInnen, und noch während wir diskutierten und Plena abhielten, wie das Projekt umzusetzen sei, schlugen die Spardiktate von IWF, EU-Kommission und EZB voll auf die griechische Gesellschaft durch“
(…)
„Am Anfang, während des Hungerstreiks, waren wir ca. 30 Leute. Danach kamen einige mehr auf die Plena während der Planungsphase und momentan beteiligen sich mindestens 200 Menschen aus dem Gesundheitsbereich. Darüber hinaus gibt es ÄrztInnen mit eigener Praxis, die sich gerne direkt beteiligen würden, was aber auf Grund der gleichen Sprechstundenzeiten nicht klappt. Die übernehmen dann 2 oder 5 oder 10 PatientInnen des SKS monatlich in ihrer Praxis. Im SKS selbst existieren verschiedene Fachbereiche wie Allgemeinmedizin, Zahnarzt-, Psychotherapeutische- und Kinderärztliche Praxis und die soziale Apotheke, in der die PatientInnen ihre Medikamente kostenlos bekommen. Das alles wird von Bürokräften organisiert und koordiniert ohne die das ganze Projekt unmöglich funktionieren würde.“
(…)
„Wir bezeichnen uns als „Soziale Krankenstation der Solidarität“, oft ziehe ich persönlich die Bezeichnung „Solidarische Krankenstation“vor, da sie deutlicher ausdrückt für was wir stehen. Es gibt im Moment solidarische Krankenstationen wie uns, die selbstverwaltet und von der Basis auf selbstorganisiert arbeiten, keine Nichtregierungsorganisation (NGO) sind und nicht zur Kirche gehören.“
Desweiteren schreibt sie:
„Wir haben das Projekt nicht gestartet um unsere Seele mit karitativer Arbeit zu retten, sondern verstehen uns als politisches Projekt mit einem klaren Ziel. Unser Hauptziel als SKS ist es zu zeigen, dass solidarische Strukturen funktionieren und das es durch solidarische Organisierung gelingen kann die Probleme zu überwinden, die durch die ökonomische Krise entstehen. Solidarität bedeutet dabei mehr als nur eine helfende Hand auszustrecken. Solidarische Strukturen können dann wirkungsmächtig werden, wenn Solidarität zum Teil des Bewusstseins wird, nicht nur unserer PatientInnen, sondern auch ihrer Familien, und der Viertel in denen sie wohnen. Während eines solchen Prozesses wird klar, dass solidarische Strukturen nicht nur im Gesundheitssektor geschaffen werden können sondern auch in allen anderen Bereichen unseres Lebens. Dieser Bewusstwerdungsprozess ist sehr schwer in Gang zu setzen. Wenn wir jedoch dabei stehen bleiben nur ein funktionierendes Gesundheitszentrum erschaffen zu haben, war unsere Arbeit umsonst. Erfolg haben wir dann, wenn es gelingt das SKS zum Teil einer allgemeinen Bewegung mit dem Ziel der gesellschaftlichen Selbstverwaltung und Solidarität in der Stadt, aber auch im ganzen Land, zu machen.“

Das ganze Interview ist HIER zu lesen

Ich finde dieses Beispiel für heute sehr inspirierend, und es zeigt, dass es möglich ist, selbstverwaltete Strukturen im Gesundheistssystem zu erkämpfen.

Wir bekommen nur, wofür wir kämpfen.

Und das sollte ein grundlegender Systemwechsel durch eine gesamtgesellschaftliche soziale Revolution sein.

Als fortschrittliche Bewegung sollten wir uns nicht mit einzelnen Reformen zufrieden geben, es müsste darum gehen, eine herrschaftsfreie, klassenlose und selbstverwaltete, und damit dezentrale und föderal miteinander verbundene Ökonomie und Gesellschaft zu erkämpfen, in der auf der Basis von Kooperation statt auf der Basis von Konkurrenz gearbeitet wird. Dazu müsste auch Lohnarbeit als gesellschaftliches Verhältnis überwunden sein und durch selbstbestimmte, solidarische Tätigkeit aller miteinander zum Wohle aller ersetzt werden.

Wir haben eine Welt zu gewinnen.

No solution without social revolution!