Ökonanarchismus – Schwarz ist das neue Grün

In den Wäldern lebt eine
anarchistische Utopie.

Erschienen am 8. Dezember 2021
Von: Philippe Pernot

narchistische Utopien sind lebendig, nicht nur im Chiapas oder in Rojava, sondern auch im Herzen Deutschlands. Zwar hat die polizeiliche Repression und Gentrifizierung der traditionell anarchistischen Hochburg Berlin einen dramatischen Schlag versetzt, indem zahlreiche Freiräume seit Beginn der Pandemie geräumt wurden. Doch nun blüht eine neue Form des Protests auf: Öko-Anarchist*innen sind in ganz Deutschland auf dem Vormarsch. Ein Reisebericht que(e)r durchs Land.
In NRW geht der Kampf weiter. Monate nach dem Sieg der Waldbesetzer*innen im Hambacher Forst werden jetzt in Lützerath, zwischen Köln und Düsseldorf, Baumhäuser aufgebaut, Farmgebäude besetzt und Demonstrationen organisiert. Ein einzelner Landwirt, unterstützt von hunderten Aktivist*innen, steht noch im Weg von RWE, dem riesigen Kohlekonglomerat und dem dreckigsten Unternehmen Europas. Dessen Kohlegrube soll erweitert werden, um 680 Millionen Tonnen Kohle aus dem Boden zu baggern – und damit gegen das Ziel der 1,5°C-Grenze des Pariser Abkommens zu verstoßen. Dafür soll das Dorf Lützerath zerstört und einige Kilometer weiter wieder aufgebaut werden, wie ein Dutzend andere vor ihm und wie sechs andere nach ihm.

SELBSTVERWALTUNG UND SELBSTVERWIRKLICHUNG SIND IDEALE DES CAMPS

Anfang November haben sich bis zu 500 Aktivist*innen dort für das „Unräumbar-Festival“ versammelt, mit Konzerten und Konferenzen sollte dem am 1. November geplanten Abriss vorgebeugt werden. Am Vorabend flossen 350 Ende-Gelände-Aktivist*innen durch die Polizeitrupps und besetzten den Rand der Grube. Im „Lützi“ sind viele Anarchist*innen vor Ort, aber wichtiger noch ist die Tatsache, dass das ganze Camp die Ideale der Selbstverwaltung und Selbstverwirklichung anwendet. Tägliche Plena, Safer Spaces, Organisierung in Bezugsgruppen und AGs ohne Hierarchien strukturieren den Alltag in der Besetzung. Hier gibt es kein Geld, alles wird geteilt, und gekocht wird gemeinschaftlich mit containertem Essen.
Mit diesem libertären Zusammenleben wurde schon seit 2013 im Hambacher Forst („Hambi“) experimentiert, die wohl bekannteste Waldbesetzung Deutschlands. 30 Minuten vom „Lützi“ entfernt leben immer noch Aktivist*innen in Baumhäusern, gekämpft wird dort aber nicht mehr: Die Rodung des Waldes wurde von RWE aufgegeben, sogar die Räumung der Besetzung wurde richterlich als illegal erklärt.

Dieser Kampf inspirierte die Besetzer*innen des Dannenröder Waldes („Danni“), fünfzig Kilometer von Frankfurt entfernt: Es gibt eine klare und organische Genealogie von einem Protest zum anderen. Hunderte von Aktivist*innen besetzten zwischen Oktober 2019 und Dezember 2020 die Trasse der geplanten A49. Denn dort wird eine Autobahn gebaut, die das Blätterdach wie eine offene Narbe durchschneidet. Der Forst ist ein Schlachtfeld, ein Zeuge der Umweltzerstörung und …