Die befreite Gesellschaft

Ein Spannungsfeld zwischen
Theorie und Praxis.

Von: Karl Bachlaut – 17. Februar 2021

m letzten Jahr hat die Corona-Pandemie bereits bestehende gesellschaftliche Verwerfungen intensiviert, beschleunigt und für uns alle sichtbarer gemacht. Systemrelevante Branchen wie beispielsweise die (Kranken-)Pflege oder der (Einzel-)Handel klagen seit langem über Unterbezahlung und Überlastung. Die ökonomischen Bedingungen sind relevant für die Frage, wie eine Gesellschaft funktionieren soll. Es ist nicht neu, dass die herrschenden Produktionsbedingungen nicht im Stande sind, die dringlichsten Menschheitsfragen zu beantworten, wie eine schleppende Kehrtwende im Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel verdeutlicht. Gesellschaftliche Privilegien, ob ökonomisch oder sozial, bilden ein Spannungsfeld, das sich in einem kontinuierlich fortlaufenden Transformationsprozess befindet.

KEIN GRUND ZYNISCH ZU WERDEN, …

denn es ist nicht einfach, sich eine befreite Gesellschaft vorzustellen und vielmehr noch diese praktisch umzusetzen. Beispielsweise ist es notwendig, die Lohnarbeit als Teil der Gesellschaftsordnung grundsätzlich in Frage zu stellen und bestenfalls abzuschaffen. Gesellschaftliche Respektabilität wird in unserer Gesellschaft noch immer über Lohnarbeit definiert. Genoss:innen, die sich noch an die FAU-Kampagne „Leiharbeit abschaffen“ erinnern und/oder konkret an die Deregulierung des Arbeitsmarktes im Zuge der Agenda 2010, wissen, was hiermit gemeint ist. Als die DGB-Gewerkschaften alles brav nach Hartz abgewunken haben, vertrat die FAU eine konsequente Gegenposition. Die radikale Vorstellung, nicht mehr für Lohn arbeiten zu müssen, um überleben zu können, wirkt trotz allem auch Jahre später für eine breite Mehrheit, gelinde gesagt, eher beunruhigend. Ein Argument, was von Verfechter:innen neoliberaler Wirtschaftspolitik gerne aufgegriffen wird: wenn der Druck Lohnarbeiten zu müssen wegfiele, würde die Gesellschaft kollabieren.

DIE ÖKONOMISCHE GRUNDORDNUNG UNSERER ZEIT IST KEIN NATURGESETZ, …

denn die Transformationsprozesse am Arbeitsmarkt (Industrie 4.0) sind unabhängig von ideologischen Ansichten in vollem Gange. Die Vorstellung, täglich nicht mehr acht Stunden oder mehr arbeiten zu müssen, um ein glückliches Leben führen zu können, sollte eigentlich eine paradiesische sein. Dabei muss zwischen Lohnarbeit, welche einer Verwertungslogik unterliegt und Arbeit als produktiver Vorgang der Tätigkeit differenziert werden. Statt dem Hamsterrad Lohnabhängigkeit könnte Mensch die entstandene freie Zeit für die persönliche und gesellschaftliche Weiterentwicklung und einer Stärkung des Gemeinwesens nutzen. In einer befreiten Gesellschaft können Menschen nicht über ihre Lohnarbeit definiert werden. Das ist einer der Punkte, die uns die Coronakrise unmissverständlich aufgezeigt hat. Eine kritische Analyse der Produktionsbedingungen kann nur unter Teilhabe der jeweiligen Akteure und auch der Konsumenten erfolgen. Eine befreite Gesellschaft baut auf gesellschaftlicher Teilhabe und Teilnahme auf und arbeitet kontinuierlich daran, Herrschaftsstrukturen zu analysieren und aufzuheben.

DAVON SIND WIR WEIT ENTFERNT …

Den Maschinensturm haben schon die Weber praktiziert – aus Angst, ihr Brot zu verlieren. Verständlich, denn wenn Mensch außer der eigenen Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt nichts an Kapital zur Verfügung hat, kann der Verlust der Lohnarbeit samt einhergehendem gesellschaftlichem Respektabilitätsverlustes desillusionierend wirken. Die Geschichte hat gezeigt, dass abstiegsbedrohte Teile der Gesellschaft …